Wir sind in unserem neuen Zuhause angekommen :) Nach ziemlich genau vier Wochen des Herumreisens, Ankommens und Zelte-Abbrechens haben wir nun unseren Zielort erreicht. Auch wenn der Weg das Ziel sein soll, und auch wenn ich das Reisen unheimlich genossen habe, es fühlt sich schon nach einem Tag wunderbar an in unser Zimmer zu kommen und zu denken: Mein Zuhause. Wow! Man kann einen Schrank einräumen, die Wand und das Regal dekorieren, eine kleine Putzorgie veranstalten. Möbel umherschieben, Geschirr kaufen, seinen eigenen Schreibtisch haben. Platz für den Computer UND Platz auf dem Bett haben!
Allerdings muss ich auch sagen, es gäbe viele Orte die ich lieber mein Zuhause nennen würde. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und nirgendwo ist mir das bisher so aufgefallen wie hier. Als wir ankamen habe ich erstmal eine halbe Stunde lang nur über alles gelacht, weil ich sonst hätte schreiend im Kreis rennen müssen. Der Architekt der dieses Gebäude entworfen und gebaut hat gehört gefoltert (langsam!), so zumindest die Aussage von BJ, einer der Assistenten, die hier auf dem Campus leben. Ich glaube, dass die Inspiration für das Hostel ein Gefängnis war. Ein grauer Block von solch monumentaler Tristesse, das muss man erstmal leisten. Hallooo das hier ist eine Designhochschule? Farbe???
Dann kommt der schöne Aspekt der Geschlechtertrennung hinzu. Nachdem Robert, Sarah und ich vier Wochen lang im gleichen Bett geschlafen, aus der gleichen Flasche getrunken, das gleiche Klo benutzt und uns beim Umziehen zugesehen haben, benutzen wir nun verschiedene Treppenhäuser und Aufzüge. Männern ist es nicht gestattet auf die Mädchenstockwerke zu kommen, das heißt Robert kennt nichtmal unser Zimmer außer von Fotos. Wir dürfen zwischen 8 und 20 Uhr auf die Männerstockwerke. Danach ist Kontakt mit dem anderen Geschlecht nur außerhalb des Hostels erlaubt. Überall dort, wo das eine Treppenhaus auf ein Stockwerk des anderen Geschlechts treffen, wurde mit riesigen Gitterstäben das Schlimmste verhindert. Das bedeutet im Klartext, wenn wir uns treffen wollen und es gibt eine spontane Planänderung, so geschehen heute Abend, muss erst ein Mitarbeiter einen Zettel zu uns hoch tragen. Ich kann nicht mal eben etwas aus Roberts Zimmer holen, wenn es schon nach 20 Uhr ist. Und wenn wir spontan irgendwie kommunizieren wollen, müssen wir das über Facebook machen. Oder über Zettel tragende Wachmänner.
Closing time ist 23 Uhr, danach kommt man nicht mehr ohne größere Probleme auf den Campus. Größere Probleme bedeutet, wenn das öfter passiert wirst Du ohne Vorwarnung rausgeschmissen. Vom Campus in Ahmedabad zum Campus in Gandhinagar, wo alle Austauschstudenten untergebracht sind, braucht man 45-60 Minuten. Wenn man abends was in Ahmedabad unternimmt, muss man die Stadt um 22 Uhr verlassen, um pünktlich im Hostel zu sein.
A propros etwas unternehmen: In Gandhinagar gibt es irgendwie gar nichts interessantes, so scheint es mir. Es gibt eine Art Shoppingmall und es gibt einen wohl etwas größenwahnsinnigen Tempel, den sich irgendeine reiche religiöse Gruppierung hat bauen lassen, und das war's. Gandhinagar ist Gujarats Hauptstadt und wurde dafür auf dem Reißbrett geplant, es gibt keinen natürlich gewachsenen Stadtkern, keine engen Gässchen in denen das Leben pulsiert. Dafür gibt es Porsche Cayennes, große Häuser für die Politiker und laaange geraaade Straßen. Also alles was ich nicht leiden kann. Der Campus in Ahmedabad liegt, nach dem was wir gehört haben, am Fluss, hat seinen eigenen Tempel, es gibt viele Festivals und Ausstellungen, ein Kino und das Großstadtleben.
Der Unterricht findet in Paldi (so heißt die Gegend, in der der Campus in Ahmedabad liegt) und Gandhinagar statt. Je nach Fächerwahl mehr hier oder mehr dort. Schmuck ist quasi komplett hier, Textildesign in Paldi und Bekleidungsdesign hier, Produktdesign komplett in Paldi. Robert darf somit jeden Morgen und Abend pendeln, ich je nach Fächern mehr oder weniger oft.
Unser Zimmer ist schätzungsweise 20qm groß, ich teile es mir mit Sarah. Ich mag Sarah sehr gerne, und im Moment ist auch alles großartig, aber ich weiß genau, früher oder später laufe ich Amok. Ich brauche einen Rückzugsraum, ich muss laut Metal hören können, ich muss meine 50 Zeichnungen auf Bett und Boden verteilen können um Entscheidungen zu treffen, ich muss bis nachts um 4 Uhr arbeiten können. Und so wie ich Leute um mich herum brauche, muss ich mal alleine sein! Ich achte immer darauf, vor allem Rücksicht auf meine Mitmenschen zu nehmen. Aber das heißt nicht, dass ich keine „egoistischen“ Bedürfnisse habe.
Ihr merkt, I'm not amused. All diese Dinge haben Robert und mich dazu veranlasst, die Entscheidung zu treffen in Paldi eine Wohnung zu suchen. Beziehungsweise suchen zu lassen, denn als Ausländer haben wir keine Ahnung von Tuten und Blasen des indischen Wohnungsmarktes und dazu den Iiih-Bäh-Bonus. BJ hat sich uns freundlicherweise angeboten, die Aussicht auf eine große Einweihungsparty hat eine gewisse Begeisterung bei ihm ausgelöst ;) Eine 2-3 Zimmerwohnung, teilmöbliert, sollte angeblich so um die 8000RS monatlich kosten, das sind ca. 66€ pro Person. Schade ist natürlich, dass diese Lösung für Sarah gar keinen Sinn macht, aber dafür gewinnt sie ein ganzes Zimmer für sich alleine und sie könnte natürlich immer bei uns pennen wenn sie das will. Und im Moment steht ja sowieso noch nichts fest. Aber für mich persönlich wünsche ich mir das schon sehr, hier drinnen muckt der kleine Punk in mir doch sehr auf und sucht schon fröhlich nach Möglichkeiten, die Regeln zu umgehen, einfach weil sie danach schreien.
Aber bis das alles über die Bühne ist, werde ich dieses Zimmer hier hegen und pflegen, werde versuchen es als mein Heim zu sehen. Obwohl BJ meinte, wir könnten evtl. schon am Wochenende umziehen, bin ich etwas skeptisch. Indische Zeitangaben sind sehr dehnbar und dann müssen noch die Vermieter mitspielen. Wie mal jemand in einem Forum schrieb, manche Inder lassen sich auch gerne ein Geschäft durch die Finger gehen, nur weil die Kuh des Nachbarn ein schlechtes Horoskop hatte. Warten wir es also ab.
Gestern und heute haben wir jeweils Zeit in der Stadt und auf dem Campus verbracht. Da die Mensa erst morgen aufmacht haben wir bei dem kleinen Campus-Imbiss gefrühstückt. Neu auf meiner Favoritenliste: Breadugma. Das sind gebratene Zwiebel- und Tomatenstückchen mit gebratenen Toastwürfeln, frischem Koriander und Gewürzen. Yummy! Hier gibt es auch ganz tolle billige Thalis mit super sauer-scharf eingelegten Mangopickles :D Gestern waren wir viel mit Organisieren beschäftigt, Sarah und ich haben das Zimmer gewechselt, weil in unserem Jetzigen viel mehr Licht ist, leider haben hier aber in der Vergangenheit viele Tauben gelebt und wir mussten erstmal den Dreck wegmachen lassen. Um dann nochmal selbst zu putzen. All dieser Krempel ist sehr umständlich, weil das Personal leider wenig Englisch spricht. Umso hilfsbereiter sind die Post Graduate Studenten und Assistenten, allen voran BJ, der uns wirklich eine tolle Hilfe und hoffentlich bald ein guter Freund ist.
Gestern waren wir schonmal in der Info City, eine Art Shopping Mall, heute waren wir nochmal mit BJ dort und danach noch im Department 21, wo sich der Markt befindet. Ich habe ganz viele neue kulinarische Erfahrungen gemacht, so z.B. Masala Jeera, ein Getränk das aussieht wie Cola, aber schmeckt wie die mit Müll verstopften Kanäle, aus denen schwarze Brühe sickert, riechen. Eeek! Und ich habe mein erstes Pan gegessen! Pan ist ein Betelblatt, bestrichen und gefüllt mit allerhand Zeug das ich nicht 100%ig identifizieren kann (ich tippe auf Kokosraspeln, Trockenfrüchte, Schoko- und Zuckersoße, viel Menthol, Gewürze und lauter Dinge die ich nicht kannte). Zusammengefaltet und in den Mund gestopft zieht es alle Säfte im Mund zusammen und soll als Erfrischung nach dem Essen dienen. Sehr lustig! Außerdem haben wir Chikka (oder so) kennengelernt, eine Frucht die aussieht wie eine Kartoffel, von der Konsistenz ist wie eine Art sehr körnig-mehlige Birne und schmeckt wie... keine Ahnung... Honig?
Wir haben, neben Dingen wie Schüssel und Besteck, ganz viel Gemüse für unseren Abendessensalat gekauft, dann gab es aber bei Ankunft im Hostel eine spontane Änderung und wir haben mit einigen der PG (Post Graduate)-Jungs in einem Restaurant um die Ecke gegessen. Dal Fry (Linsensuppe), Masala Paneer (warme, frischkäseartige Klümpchen in Soße) und Aloo Ghobi (Kartoffeln und Blumenkohl) mit Reis und Tandoori Roti (im Lehmofen gebackene Teigfladen). Sooo lecker! Im Regen ging's zurück nach Hause. Ein guter Tag :)
Jetzt ist es – mal wieder – ewig spät, nämlich 01.30Uhr, und in sieben Stunden steht schon wieder Frühstück auf dem Plan. Ich freue mich schon total auf morgen, wenn wir hoffentlich unsere Stundenpläne machen können und vielleicht sogar schon Unterricht haben werden? Außerdem sehen wir zum ersten Mal den Campus in Ahmedabad. Awww! Ich freu mich schon so! Ich habe richtig Lust wieder was zu lernen! Und wir lernen die restlichen Austausschstudenten kennen, bisher kennen wir nur Hendrik und Frank aus Hannover, Roberts Mitbewohner Daniel aus Edinburgh und Anna aus Schweden. Insgesamt sind wir aber 16 Leute.
Uns geht es jedenfalls abschließend gut, Sarah war ja ein paar Tage lang krank, aber die Antibiotica zeigen Wirkung. Ich habe auch ab und zu Probleme mit der Verdauung, und auch wie Sarah hin und wieder mal einen kleinen Ausschlag, aber nichts was sich nicht aushalten ließe. Und Robert ist eine Ausgeburt an Gesundheit, das ist schon fast unheimlich. Dafür wachsen seine Haare wie Unkraut, und ich bin schon aus seinen ersten Friseurbesuch gespannt!
Mit Blick auf die Uhr mache ich daher jetzt mal Schluss und wandere bettwärts. Ich hoffe euch geht es allen gut, und ich hoffe ich bekomme irgendwann bald mal den nächsten Nepal-Eintrag fertig, er wächst jeden Tag ein bisschen. Fotos von unserem neuen Zuhause gibts dann auch bald.
Fühlt euch geküsst!
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