Wednesday, 3 November 2010

Was für ein Tag!

Ich bin nach Indien gekommen, weil ich ein anderes Verhältnis zu unserem Alltag bekommen wollte. Entspannter werden. Sehen, was es neben meinem behüteten Leben noch so gibt. Ein bisschen Elefantenhaut bekommen. Gestern habe ich die Gelegenheit dazu bekommen, und mich gefragt, ob ich das vielleicht nicht doch auf eine andere Art hätte lernen können. So krasse eineinhalb Tage. Aber es funktioniert, die Haut wächst.





Ich glaube von so etwas wie Chronologie kann ich mich sowieso verabschieden. Daher jetzt also die Reise von Kathmandu nach Varanasi. Darjeeling II und Kathmandu kommt dann später.



6.30Uhr: Aufbruch in Kathmandu. Nach guten 5h Schlaf brechen wir hier unsere Zelte ab. Wir laufen von unserem Hostel in Thamel eine halbe Stunde zur "Bushaltestelle". Diese ist als solche natürlich überhaupt nicht zu erkennen, es gibt kein Schild, keine Info, es ist einfach ein Ort an einer Straße irgendwo in Kathmandu. Wir haben uns von der Travel Agency den Ort auf der Karte zeigen lassen und nach der Meinung verschiedener Nepalesen (immer drei Leute fragen!) stehen wir tatsächlich richtig. Und da stehen wir. Und stehen. Immer mehr Busse kommen und die Menge der wartenden Nepalesen schrumpft, die verabredete Abfahrtszeit ist schon länger um und noch kein Bus nach Sunauli, dem Ort an der indischen Grenze, kein "Baba Travel" Bus, der Name unserer Busgesellschaft.
Auf einmal sehen Sarah und ich den Schriftzug "Baba Travel" auf einem gerade vorbeigefahrenem Bus. Alle anderen Busse haben immer angehalten und den Zielort angesagt (jeder Bus, jedes Taxi hat hier in Nepal einen Beifahrer, der permanent in der Tür steht und Geld eintreibt, Parken koordiniert, Gepäck ein- und auslädt und Kunden eintreibt. Mit dem Fahrer kommuniziert er über lautes Schlagen gegen die Buswand), dieser fuhr einfach vorbei! Scheiße (Verzeihung, aber so war es)! Wir hatten doch schon bezahlt! Wir hatten sogar den Anschlusszug danach gezahlt! Wir müssen doch nach Varanasi! Was, wenn das jetzt unser Bus war? Und wenn nicht?
7.30Uhr: Ein "Beifahrer" von einem anderen Bus bekommt unsere Aufregung mit und verspricht uns, das für uns zu regeln, wir ständen sowieso an der falschen Bushaltestelle. Für nur 300NPR nimmt er uns in seinem Bus mit zur richtgen Haltestelle und versucht unseren Bus noch zu bekommen. Wir sind uns uneinig, ob er jetzt 300 pro Person oder für uns alle zusammen haben will, finden das sowieso ein bisschen dreist, aber was willst Du tun, wenn Du weiter willst und Dein Geld nicht verschwendet sehen willst, und 2000NPR sind immerhin 20€, das ist eine Menge Geld hier unten (und sowieso eigentlich viel zu teuer). Wir hieven unsere riesigen Rucksäcke in den Bus, uns hinterher und hoffen, dass das alles irgendwie klappt. Der Bus hätte vor einer Viertelstunde abfahren sollen.



Natürlich ist schon viel Verkehr in Kathmandu. Wir brauchen eine gefühlte Ewigkeit zum Busbahnhof, an dem wir auch ein paar Tage zuvor angekommen waren. Dort stehen wir ein Weilchen herum, gefangen zwischen "Was genau sollen wir jetzt eigentlich tun?", "I think the bus already left", "There is an office over there" und "You can take a taxi to Sunauli (natürlich zu einem Horrorpreis)!". Aber dann, wir können es kaum glauben, "Look, this ist your bus!". Wow was sind wir erleichtert! Ich kanns nicht fassen, mein Adrenalinspiegel wird einmal komplett durch Endorphin ausgetauscht und ich brauche mindestens eine halbe Stunde um wieder runterzukommen, nachdem das Gepäck verstaut ist und wir auf unseren Plätzen sitzen. Ein kurzes nerviges Intermezzo mit dem "Beifahrer", der nun doch mehr Geld haben will, wir aber fast keine Nepalesischen Rupien mehr haben. Wir geben ihm alles was wir noch haben und lassen ihn stehen. Sorry!



So toll es ist, endlich im Bus zu sitzen, kommt bald die Ernüchterung: Stau stadtauswärts. Und nicht irgendein Stau. Wir haben für ca. 4km 4 Stunden gebraucht. Eigentlich haben wir einen ordentlichen Puffer um von Sunauli nach Gorakhpur zu unserem Zug zu kommen, aber jetzt wird es echt eng. Zumal der Busfahrer wirklich oft anhalten muss um sich zu erleichtern.

20Uhr: Nach 12-13h statt 7h Fahrt sind wir endlich in Sunauli. Es ist natürlich längst dunkel. Wir tun uns mit einem ca. 50-jährigen Inder, der neben Robert saß und auch nach Gorakhpur will, zusammen und fahren mit Fahrradrikschas über die Grenze, unterbrochen von Aus- und Einreiseformularen-Ausgefülle. Jemand im indischen Büro sagt uns, der letzte Bus verlasse Sunauli in 5 Minuten, und mit dem Taxi sollten wir nachts lieber nicht fahren, es hätten Leute berichtet ihre Fahrer hätte mitten im Nirgendwo angehalten und mehr Geld verlangt. Also hetzen wir zum Bus, der dann doch erst gegen 21 Uhr fahren soll. Wir sollen warten (wie so oft, genaue Zeit- und Ortsangaben lösen bei Indern wohl Hautausschlag aus). Wir kaufen noch ein paar Chips und gehen nochmal in einer dunklen Ecke, von denen es in dieser gruseligen Kleinstadt viele gibt, eine Runde pinkeln. Die Grenzstädte sind mir wirklich etwas unheimlich. Klein, sehr dreckig, viele unfreundliche Leute, fast nur Männer draußen, viele unfreundliche Gesichter.



21Uhr: Jetzt könnte es doch so langsam mal losgehen? Ein alter Mann, der die ganze Zeit vorne im Bus saß und mit dem Fahrer und den anderen Männern gesprochen hat, steigt aus und hat es plötzlich recht eilig. Ich denke, vielleicht muss er ja irgendwoanders hin oder etwas holen bevor der Bus fährt, da rennt der Mann zwei Schritte - und wird von einem Motorrad überfahren! Krass. Schnell sind ganz viele Männer da, die den Motorradfahrer und den alten Mann umringen, und auch die Busfahrer springen aus dem Fahrzeug und rennen hin, das ist schließlich ihr Freund!
Wir sind noch ganz verdattert und diskutieren, wie und warum das jetzt so geschehen ist und dass der Straßenverkehr in Indien einfach saugefährlich ist, und Sarah witzelt noch, dass wir jetzt bestimmt mit dem Bus ins Krankenhaus fahren müssen, da kommen auch schon die ganzen Männer mit dem einen Verletzten in den Bus und machen ihn an! Der Mann hat ein Tuch um den Kopf gewickelt und überall ist Blut... Wir sind aber noch im Bus und unsere riesigen schweren Taschen! So schnell wie es geht schmeißen wir alles nach draußen, da fährt der Bus auch schon weg. So viel also zu unserem letzten Bus.
Ich persönlich schalte jetzt auf emotionalen Durchzug. Das ist alles etwas zu krass. Neue Ansichten bzgl. Sicherheit und Vergänglichkeit des Lebens: Check.
Jemand bietet uns ein Auto nach Gorakhpur für 1500Rs an. Irgendeines müssen wir jetzt nehmen, kriminelle Fahrer hin oder her, wenn wir nicht die Nacht in diesem Nest verbringen wollen. Wir haben immer noch die Hoffnung, den letzten Zug nach Varanasi zu erwischen. Aber mit diesem Mann sollten wir wirklich nicht mitgehen. Wir gehen zu einer Restaurant-Hotel-Touristeninformations-Mischung, die von Sikhs betrieben wird (Sikhs sind an Turban und Bart zu erkennen, die sie tragen weil sie aus religiösen Gründen ihre Haare nicht schneiden dürfen. Sikhs haben einen sehr guten Ruf, gelten als gute Krieger und zuverlässige Männer.), und unser indischer Mitreisender fragt nach einem Auto. Er kommt zurück und sagt, es koste 1200Rs und wir sollen warten. Nach 5 Minuten dummen Herumstehens frage ich, wie lange wir eigentlich warten sollen. Er meint, er wisse es nicht, also gehe ich nochmal hin und erkundige mich. Irgendwann sagt mir der Mann, es dauere eine Stunde. Eine Stunde!!! Dann können wir ja gleich alles vergessen. Ich rede ein ganzes Weilchen auf den Mann ein und erkläre ihm eindringlich, dass wir wirklich wirklich unseren Zug kriegen müssen und dass es wirklich wirklich wichtig ist. Auf einmal dauert es nur noch 5 Minuten, der Fahrer müsse nur das Auto aus der Garage holen. Na sowas! Wir kaufen noch eine Flasche Wasser (versiegelt!) und fünf Chapatis, da wir den ganzen Tag nur von Chips, Keksen und Minikuchen gelebt haben.
Nun geht das Feilschen los. Auf einmal will der Sikh doch 1500Rs! Es sei ein großes Auto für 11 Personen, ein kleines sei nicht ausreichend für unser Gepäck. Das entspricht der Wahrheit, aber wir sind nur zu viert, und eben hat er noch 1200Rs gesagt! Es tue ihm leid, da könne er wirklich nichts machen. Aber wir sind Studenten, wir haben wenig Geld! Wir hätten doch den Bus genommen, aber der musste doch die Verletzten ins Krankenhaus bringen! Nein, keine Chance, 1500Rs, großes Auto, weiter Weg. Wir ärgern uns, stimmen aber zu, irgendwie müssen wir schließlich hier weg. Wir bezahlen Wasser und Brot und setzen das Gepäck auf, wollen das Auto bezahlen, da erzählt uns „unser“ Inder, der Sikh wolle nun doch nur 1300Rs. 800 jetzt, 500 bei Ankunft. Ich weiß nicht warum er sich noch umentschieden hat, aber eigentlich ist uns das auch herzlich egal, das Auto sieht gut aus, abgesehen davon, dass meine Tür nicht aufgeht, und wir haben zwei Fahrer, einen für den Hinweg, einen für den Rückweg.



21.30 Uhr: Der Inder hat erfahren, dass er noch einen Zug in Gorakhpur erreichen könnte, und bittet den Fahrer sich zu beeilen. Also geht eine weitere lustige Fahrt auf kaputten indischen Straßen los. Wir fahren ca. 70km/h, zeitweise durch dicke Nebelbänke, durch Dörfer und übers Land. Überall auf den Straßen sind Hunde, Menschen, unbeleuchtete Fahrradfahrer, Kühe, LKW, andere Autos, Rikschas,... Natürlich gibt es keine Gurte zum Anschnallen. Ich bin irgendwie ziemlich durch den Wind, weil alles so schnell passiert, der Fahrer so schnell fährt und wir müssen doch unseren Zug erreichen! Aber was soll man in so einer Situation tun? In Sunauli will ich wirklich nicht bleiben, lieber in Gorakhpur übernachten, sollten wir den Zug verpassen (was zu dem Zeitpunkt schon sehr wahrscheinlich war, es sei denn er hätte Verspätung gehabt, was widerum nicht sehr unwahrscheinlich ist). Das ist also keine Option. Man könnte noch total durchdrehen, aber was nützt das? Davon fährt der Fahrer nicht besser, das verhindert nicht dass uns vielleicht jemand vor den Kühler springt, den Unfall macht es nicht ungeschehen und meine Mitreisende nicht glücklicher. Also findet man sich mit der Situation ab. Entweder es geht gut oder nicht. Projekt Elefantenhaut läuft also.



23.30 Uhr: Ankunft am Bahnhof von Gorakhpur. Der Fahrer war wirklich schnell! Wir zahlen den Rest und gehen Richtung Bahnhofsgebäude.
Es ist schwül-heiß und stickig. Neonstrahler beleuchten den Bahnhofsvorplatz, der eigentlich wohl als Parkplatz dient. Jetzt ist er voll von mehr oder weniger dünnen Indern, die alleine, in Gruppen oder mit ihren Kindern aneinandergekuschelt auf Decken oder dem blanken Beton im Staub liegen, schwitzen und versuchen zu schlafen. Manche stehen herum, entlang der Zufahrt ist die „offizielle“ Latrine. Überall auf dem Boden sind zerquetschte Käfer, so lang wie mein Zeigefinger. Um die Neonlampen kreisen Schmetterlinge und Mücken. Wir schwanken mit unseren Rucksäcken zwischen ihnen hindurch, bemüht niemandem auf den Fuß oder die Hand zu treten. Ich komme mir vor wie in einer modernen Darstellung des Fegefeuers.
Der Schalter an dem wir uns anstellen ist nicht für uns Touristen zuständig, wir müssen zum Schalter Nr. 812. Ich weiß nicht woher sie diese Zahl nehmen, da die restlichen Schalter mit 1-25 beziffert sind. Dort erfahren wir, dass der letzte Zug schon weg ist, die nächsten um 05:30 und 06:00 Uhr gehen und wir doch um 04 Uhr nochmal kommen sollen, um unser Ticket zu kaufen, weil jetzt um kurz vor zwölf sei das ja leider nicht machbar, wegen der Software oder seinem Kollegen der ihn ablöst, so genau haben wir das nicht verstanden. Allerdings würden wir auch gerne irgendwann mal schlafen, also rede ich auf den trägen Beamten ein, bis ihm einfällt, dass wir auch um halb eins kommen können.
Nächste Station ist dann das Hotel. Im Lonely Planet, der Bibel aller Traveller, wird eines als einzig annehmbares unter den schmuddeligen Bahnhofshotels beschrieben, das ist unser Ziel. Wir ignorieren die üblichen Angebote, uns mit einer Rikscha irgendwohin bringen zu können, und finden schließlich das besagte Hotel. Und das Spiel beginnt von Neuem: Was sollen die Zimmer kosten, aha, 600Rs plus 10% service charge. Wir wollen uns ein Doppelzimmer zu dritt teilen, na das wäre dann aber teurer, immerhin sind wir zu dritt! 700Rs plus service charge. Waas, aber wir brauchen doch nur das eine Zimmer, wir schlafen sowieso nur ein paar Stunden hier, und überhaupt auf dem Schild steht doch 600Rs! Nein, tut ihm leid, da könne er nichts machen, 700Rs. Ok, wir wollen das Zimmer sehen. Einer der Boys bringt uns hin, die Bettbezüge sind wie üblich grau, das Bad ist in Ordnung, aber keine continental Toilette wie versprochen, sondern indian style. Letzteres ist uns tatsächlich viel lieber, denn die sind oft viel weniger eklig, aber es ist eine gute Verhandlungsgrundlage. Also wieder runter zur Rezeption, also die Betten seien ja eklig und die Toilette ist auch nicht continental, für 660Rs würden wir es aber gnädigerweise nehmen. Wir sind sowieso um 05Uhr wieder weg und er brauche nichts für uns zu tun. Also gut, 680Rs, und nicht weniger. Wir willigen ein, obwohl es natürlich gnadenlos überteuert ist, aber nochmal woanders hin und dort vermutlich in einem wirklich ekligen Loch schlafen, wollen wir nicht. Aber die Bettbezüge müssen ausgetauscht werden! Jaja, das machen sie.
Jetzt müssen wir uns registrieren. Nicht nur in das übliche Buch, in dem Namen, Heimatadresse, Passnummer usw. stehen, sondern natürlich werden Kopien von unseren Pässen angefertigt, die wir auch noch einmal unterschreiben müssen, und dann noch dieses und jenes Formular, wo wir herkommen, wo wir hin wollen etc., und es reicht auch nicht, wenn sich nur einer für alle einträgt. Der Knaller kommt beim Bezahlen, ich zahle 1000Rs und er gibt mir 300Rs zurück mit den Worten, die 20Rs würde er mir dann morgen beim Auschecken zurückgeben, das ginge jetzt nicht. So weit kommt es noch, ich bin mittlerweile hochgradig genervt und verlange meine 20Rs auf der Stelle zuürck. Natürlich ist es überhaupt kein Problem und er guckt etwas genervt, dass wir uns nicht haben reinlegen lassen. Denn natürlich wäre er am nächsten Morgen zu der unmenschlichen Zeit nicht da gewesen, der Boy wäre nicht befugt an die Kasse zu gehen und weil wir unseren Zug kriegen müssten hätten wir dann auf die 20Rs verzichtet.
Wir beaufsichtigen noch das Schauspiel, das die Boys beim Auswechseln der Bettwäsche aufführen (der Jüngste muss alles machen und holen, der Mittlere hilft noch ein bisschen und der Älteste steht nur dumm herum und gibt dem Jüngsten Anweisungen und witzelt mit dem Mittleren herum), dann gehen Robert und ich los, um unser Zugticket zu bekommen. Sarah kümmert sich um Moskitonetz, Schlafsäcke usw. und muss sich leider nochmal mit den Boys herumschlagen.



00:30Uhr: Zurück im Fegefeuer finden wir den neuen Beamten schlafend auf dem Schaltertisch. Wir wecken ihn und erklären ihm, dass wir unser Ticket gerne ersetzt haben möchten. Er verneint, e-tickets können nicht ersetzt werden. Na super! Schon wieder ist uns Geld flöten gegangen, in Zukunft werden wir solche Kombinationen wirklich nicht mehr buchen, man kann sich nie darauf verlassen pünktlich irgendwo zu sein. Dann teilt er uns noch mit, dass er aus Systemgründen für uns auch leider nur den 05:30-Uhr-Zug buchen kann; ärgerlich, denn wir hatten gehofft wenigstens ein halbes Stündchen länger im Hotelbett schlafen zu können. Dann schnell zurück und ab ins Bett.



04:15 Uhr: Schon wieder aufstehen. Uuurgh. Schnell duschen, packen und ab zum Bahnhof.



05:30 Rein in die Sleeperclass vom Zug, wir verstauen das Gepäck, ketten es an den Betten fest und versichern uns nochmal gegenseitig, von niemandem irgendetwas anzunehmen, denn Züge von und nach Varanasi stehen im Ruf, zwielichtige Gestalten anzuziehen. Du bekommst von einem netten Inder einen Chai oder einen Snack angeboten, und irgendwann wachst Du dann mit einem Schädel auf und Dein Gepäck ist verschwunden, inclusive dem netten Inder. Dann fallen wir ins Bett. Ich schlafe schlecht wie immer im Zug, aber niemand will uns etwas andrehen. Dafür schrecke ich einmal hoch, als jemand meine Decke anhebt. Ich fauche in Richtung des Übeltäters und sehe einem Schuljungen ins Gesicht. Ein Mann im Abteil erklärt mir, dass mein Zugticket heruntergefallen sei. Ich bin noch halb im Schlaf und antworte pampig, ich hätte mein Ticket, das sei nicht mein Ticket. Er bittet mich das Ticket zu kontrollieren, natürlich hat er recht und mit fällt ein, dass ich mich gerade umgedreht hatte und es vermutlich wirklich heruntergefallen ist. Oops! Ich murmle ein Danke und Sorry und lege mich wieder schlafen.



10:30 Uhr: Bald ist Ankunft in Varanasi! Wir sind hundemüde aber in unserem Abteil ist schon seit Stunden Partystimmung. Kinder toben herum, bettelnde Frauen ziehen singend durchs Abteil, Verkäufer preisen laut Chai, Snacks und frisches Gemüse an (Zwiebelringe, Limettenstückchen und Chillies, diese Kombination bekommt man oft zum Essen gereicht), Männer unterhalten sich. Ein komplett in Orange gekleideter, bärtiger und langhaariger Mann mit einem eigentümlichen Turban auf dem Kopf und auffällig bemaltem Gesicht sitzt uns gegenüber. Wir frühstücken Kekse, trockene Fruchtkuchen und Cola. Draußen kündigt sich die Stadt durch immer größer werdende Ansammlungen von Menschen, Müll und Kühen an.



11:00 Uhr: Der Zug ist pünktlich! Unglaublich. Wir setzen einen Fuß auf den Bahnsteig und haben schon einen Schlepper an der Backe, der uns nur herumführen und helfen will, und natürlich die billigste 70-Rs-only-Rikscha in irgendeine Spelunke hat, die ihm dann eine fette Kommission zahlen wird. Wir gehen erstmal ins Touristenbüro und lassen uns auf einer Karte das Mona Lisa Guesthouse aufmalen, das uns die zwei Deutschen, die wir auf dem Weg nach Kathmandu getroffen haben, empfohlen haben.
Und los geht’s! Wir haben jetzt einen neuen Schlepper an der Backe. Es dauert ein bisschen, bis wir herausfinden, dass es einen Prepaid-Schalter gibt, der billiger und etwas neutraler ist. Allerdings auch nicht zu 100%, denn als wir nicht erzählen wollen wo genau wir hin möchten kostet es auf einmal 5Rs mehr. Das ist ärgerlich, aber jetzt gerade nicht zu ändern, und wir sind alle sehr müde und wollen unsere Ruhe. Los geht’s im Tuctuc in Richtung eines Platzes, der in der Nähe des Guesthouses liegen müsste. Niemals niemals sollte man den Rikschawallas oder einem anderen vermeintlich hilfsbereiten Inder in Varanasi erzählen in welches Hotel man möchte. Laut Lonely Planet sind die dann nämlich alle abgebrannt, geschlossen, werden gerade renoviert oder seien ein Spielplatz für Gangster; und ehe man sich versieht ist man irgendwo anders und soll dafür auch noch eine Menge Geld bezahlen.
Der Verkehr ist der Wahnsinn, zweimal reicht das gute Auge des Fahrers nicht aus und wir stoßen irgendwo an, überall sind Kühe und Büffel und Fahrräder und Motorräder und Kinder und es gibt Harry Potter Drachen zu kaufen! Sobald er uns am vereinbarten Ort absetzt haben wir einen Kerl an der Backe, der wirklich kein Geld will und uns wirklich nur herumführen will und er kennt dieses und jenes Hotel und wo wollen wir nochmal hin und dort ist dieses und dort finden wir jenes und wo wollen wir nochmal hin? Wir bleiben eisern und verraten unseren Zielort nicht, lassen uns statt dessen zu Orten führen, die in der Nähe liegen müssen und versuchen uns so heranzutasten. Denn leider sind die Karten unglaublich ungenau, der Verkehr der Wahnsinn, ständig mindestens zwei Schlepper um uns herum und die Gassen irrsinnig verwinkelt. Schließlich stehen wir mehr durch Zufall vor dem Schild „Mona Lisa Guesthouse“ und können unser Glück kaum fassen.






An dieser Stelle endet dann der Stress des Reisens. Und bis auf den hartnäckigen Schlepper, der noch eine Stunde vorm Hostel wartet und eine Kommission verlangt (die das Hotel ausdrücklich nicht zahlt und die er nicht einmal verdient, immerhin haben wir ihm nicht gesagt wo wir hin wollen), bekommen wir nun die Entschädigung für alle Strapazen zurückgezahlt. Das Guesthouse ist wunderwunderschön, 5-stöckig mit einer genialen Dachterrasse mit Blick über die Stadt und den Ganges, total süß schrullig eingerichtet, günstig und mit wahren Seelen von Personal, die uns sofort alles mögliche anbieten. Wir sind im Himmel! :)



Mehr von unserem Aufenthalt in Varanasi wird dann irgendwann erzählt, wenn ich die übrigen ausstehenden Posts runtergeschrieben habe. Dieser hier brannte mir nur einfach auf der Seele. Es geht uns jedenfalls großartig hier, nette Leute, tolles Essen, super Hostel, gesundheitlich sind auch alle fit, und nach diesen sehr ereignisreichen, stressigen zwei Tagen werden wir jetzt erstmal ordentlich ausschlafen! Ick freu mir schon drauf! Hier werden wir bis voraussichtlich Sonntag Nacht bleiben und das Diwalifest erleben.



Indien hält in jedem Fall viele Überraschungen für uns parat, sowohl im Guten wie im Schlechten und das ist ja genau das was ich gesucht habe. Es gibt immer Tage, an denen ich das ganze Land mit seinen Menschen gegen die Wand klatschen will und dann wieder solche, an denen ich einfach alle knutschen könnte und es gar nicht fassen kann, wie glücklich wir uns schätzen können.

Fühlt euch alle gegrüßt! Namasté!

3 comments:

  1. Wahnsinn! Ich glaube etwas anderes gibt es dazu nicht zu sagen... Das liest sich echt wie ein verdammt spannender roman und wirkt, als könnte es nicht in dieser welt sein...
    Ich denke an dich! Love Betti

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  2. Êin echter Krimi! Und unsere 3 Helden mittendrin!
    Komplett mit Tal der Tränen und Happy End :)
    Love, Kater

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  3. Hey Du,

    nachdem mein Gesicht wieder Normalfarbe und auch der Puls sich beruhigt hat, schicke ich Dir viele liebe Grüße aus Deinem regnerischen Zuhause in D (16°C/ 9.15 Uhr) ;-)

    Ich bewundere Euren Mut und Eure Durchsetzungskraft!!!
    Diese besonderen Erfahrungen kann Euch niemand mehr nehmen.

    Kuss,
    Mama

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